Immer mehr Stasivorwürfe
Am Tag vor der Wahl scheint die Sonne, 22 Grad, für die Jahreszeit ungewöhnlich warm. Die Ausflugslokale in der Hauptstadt der DDR sind gut besucht.
In der Bezirkshauptstadt Erfurt geht der Wahlkampf weiter, obwohl sich alle Parteien darauf verständigt hatten, ihn am Vortag zu beenden. Befragte Passanten äußern einerseits deutliche Tendenz zur CDU und andererseits Enttäuschung über die schwindende Rolle der Bürgerbewegung.
Stadtgespräch in Erfurt: Einige Kandidaten für die ersten freien Wahlen sollen inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit gewesen sein. Das Bürgerkomitee zur Auflösung der Stasi hat Dokumente entdeckt, die diesen Verdacht nahelegen.
Zeitzeuge: Wolfgang Hase, Bürgerkomitee, Erfurt
Im Bürgerkomitee wird diskutiert, ob man die Namen der Kandidaten mit Stasi - Vergangenheit so unmittelbar vor den Wahlen veröffentlichen soll oder nicht. Für den Fall, dass Namen veröffentlicht werden, droht der Generalstaatsanwalt fernmündlich mit juristischen Konsequenzen. Die Journalisten, um eine Sensation ärmer, versuchen die Informationen zu kaufen, scheitern aber an der Integrität des Komitees.
In Leipzig heißt das Zauberwort zur Frühjahrsmesse Joint Venture. Auf dem Marktplatz der Messestadt gibt es ein großes Angebot von Westwaren. Südfrüchte, Zeitungen, Bier, Joghurt und Süßigkeiten, Vorboten des kommenden Wohlstands.
Ehemalige Häftlinge des Zuchthauses Bautzen kehren erstmalig an die Stätte ihrer Leiden zurück. Unter ihnen Sozialdemokraten, die sich 1946 der Zwangsvereinigung von SPD und KPD widersetzten. Die Häftlinge werden von SED-Historikern begleitet, die zum ersten Mal im brutalsten Knast der DDR mit den Leiden der Opfer konfrontiert werden.
Erfurt: Das Westfernsehen überträgt live eine Sendung aus dem Rathaus zum Thema Wahlkandidaten und Stasi. Zwei Mitglieder des Bürgerkomitees begründen die Entscheidung, die Enthüllungen noch nicht zu veröffentlichen.